Vom Theaterstück zum Roman und zurück

Schwer vorstellbar erscheint es, dass es sich bei diesem in der Mitte des 21. Jahrhunderts spielenden Werk über Gesundheit, ein totalitäres Regime, Geschwisterliebe und den Machtmissbrauch von Medienvertretern einmal um ein Drama handelte, das Juli Zeh zum Thema Mittelalter konzipiert hat. Um diese Entwicklung nachvollziehen zu können, taten sich der LK und ein GK Deutsch 12 zusammen, um den Prozess „im Rückwärtsgang“ nachzuvollziehen.

Am Mittwoch schrieb ein Teil der Schüler ein Romankapitel in eine Szene um, der andere Teil befasste sich mit der ursprünglichen Szene aus dem Jahr 2007, verglich die vorgenommenen Veränderungen im Roman und erörterte deren Motive. Am Donnerstag kamen die zwei Kurse zusammen, um den mutigen Schauspielern bei ihrer Inszenierung der sogenannten „Zaunreiterinnenszene“ zuzuschauen. In dieser setzt sich die Protagonistin Mia mit ihrer temporären Begleiterin, der „idealen Geliebten“, auseinander, während sie ihr staatlich vorgeschriebenes Pflichtworkout am Hometrainer absolviert.

Anschließend haben die Kurse gemeinsam erörtert, ob man im Roman auf eben jene „ideale Geliebte“ verzichten könnte. Sie ist eine Fantasie Mias, fungiert jedoch als Freundin, Mutter, emotionale Verbindung zu ihrem verstorbenen Bruder und Stellvertreterin seiner staatskritischen Gedanken. Daher stellte sich auch die Frage, anhand welcher Alternativen diese Funktionen im Roman hätten ersetzt werden können.

Es stellte sich heraus, dass die „ideale Geliebte“ scheinbar unverzichtbar für die Romangestaltung ist, denn keine der Alternativen, wie etwa Erinnerungen, Familienmitglieder oder innere Monologe, weisen all ihre Zuschreibungen auf. Abgerundet wird diese Erkenntnis durch die Erklärungen Juli Zehs zu dieser außergewöhnlichen Figur: „Viele Leser wundern sich über die ideale Geliebte, was ich gut verstehen kann. Als eine Art Hirngespinst oder Halluzination passt sie eigentlich gar nicht in die Corpus-Delicti-Welt und schon gar nicht zu Mia, die immer so rational und bodenständig sein will. Wahrscheinlich ist die ideale Geliebte genau deshalb in den Text hineingeraten – als irrationales Element, das das Bedürfnis der Menschen nach Träumen und Phantasien hochhält, während außen herum alles berechnet wird.“ (Juli Zeh, Fragen zu Corpus Delicti, S. 66, München 2020).

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